Es hat 36 Jahre gedauert
bis ich mit der Diagnose Asperger-Syndrom eine Erklärung für all die Besonderheiten und Schwierigkeiten bekommen habe, die sich durch mein Leben gezogen hatten.
In den 80er Jahren gab es keine Antworten, lediglich meine Grundschullehrerin sah mich „am Rande des Autismus“. Im Rückblick eine hellsichtige Aussage zu einer Zeit, in der das Asperger-Syndrom noch nicht bekannt war, die jedoch ohne nennenswerte Folgen blieb. Schließlich war ich ein zwar in sich gekehrtes Mädchen mit absonderlichen Interessen und Verhaltensweisen, das aber gut lernte und folgsam war. Auf der weiterführenden Schule und in anderen Jugendgruppen blieb ich eine Randfigur, gegen Ausgrenzung und Überforderung halfen Klassen- und Schulwechsel wenig.
Das Abitur
führte mich nicht hinaus ins Erwachsenenleben, sondern hinab in eine Jahre andauernde Magersucht.
Auch beruflich Fuß zu fassen, war mehr als schwierig, von Krisen und Zeiten der Arbeitslosigkeit begleitet. Dies alles bei guten Leistungen im Studium, in dem ich meine speziellen Interessen ausleben konnte. Dieser Kontrast zwischen in bestimmten Bereichen überdurchschnittlichen kognitiven Fähigkeiten bei großen Defiziten darin, das alltägliche Leben und altersentsprechende Entwicklungsschritte zu meistern, sorgte in meinem Umfeld für Unverständnis und in mir zu massiven Selbstzweifeln.
Wie erleichternd war es, meiner Geschichte endlich einen Namen geben zu können.
Die Diagnose
war ein positiver Wendepunkt, danach ging es bergauf – was nicht heißt, dass nun der Himmel voller Geigen hängt. (Entschuldigt die Redewendungen, aber darin bin ich untypisch für Autisten: Sprache ist meine Leidenschaft, sodass mir das Spiel mit dem Wortmaterial Freude macht!) In den letzten Jahren habe einen Platz in meinem Leben gefunden, kann mit mir selbst nachsichtiger umgehen, achte meine Routinen und Interessen anstatt sie zu verschämt zu unterdrücken. Sogar beruflich habe ich Anschluss gefunden, indem ich für ein Autismus-Therapiezentrum in der Verwaltung und der Peer-Beratung tätig bin.
Der “weibliche Blick” auf Autismus und die darin enthaltenen Aussiichten auf neue Ausformungen haben ja erst den Blick auf Kombinationen wie ADHS und Autismus und auch die symptomatisch weniger auffälligen Männer, sowie die sehr gut autonom maskierenden Autisten geworfen und verdeutlicht, daß eben ein Dasein als Autist bis dato alles andere als Menschenwürdig in unserem Land gehandhabt wird. Von daher eine sehr bereichernde Betrachtungshilfe.